Das HAUS ZWEI öffnet ab 17. Jänner 2018 wieder seine Pforten und verwandelt das Grazer Schauspielhaus in einen Schauplatz von Problemen rund um – und vor allem in – Europa. Das Stück „Rest of Europe“ basiert auf den Gedanken und Beobachtungen der moldawischen Autorin Nicoleta Esinencu und liefert den Startschuss für ein zweiteiliges Projekt zwischen den Städten Graz und Chişinău.
Europe is done, Europa ist fertig. Eine Reise durch Unverschämtheiten und Katastrophen unserer wohl-gerühmten Union gibt Anlass für eben jenen Pessimismus der Autorin. Fünf Jahre nach Erhalt des Friedensnobelpreises werden Mauern wieder errichtet und das allgemeine Solidaritätsgefühl schwindet, stattdessen schmückt man sich mit leeren Phrasen.
Ein Haufen aus blauen Schläuchen bildet die Kulisse des Schauspiels und eine ideale Metapher für das derzeitige europäische System. Im Zusammenspiel mit den Schauspielern wirkt es auf diese wie Fesseln, bietet ihnen aber dennoch einen Polster, in den sie sich fallen lassen können. Die drei Schauspieler (Mathias Lodd, Mercy Dorcas Otiento und Tamara Semzov) verkörpern in ihrem Verwandlungstalent unterschiedlichste Persönlichkeiten, vom Politiker bis hin zum Käsebauern. Besondere Unterstützung erhalten sie dabei von Traian, welcher dem Stück durch seine moldawische Herkunft noch mehr Authentizität verleiht. Er erzählt die Geschichte eines moldawischen Studenten, welcher dem Geschehen im EU-Parlament durch Kellner-Arbeiten aus nächster Nähe folgen konnte. Seine preisgegebenen Beobachtungen gewähren dem Publikum exklusive Einblicke in den wahren Alltag unseres Regierungsmittelpunktes. Er erzählt von identitätsraubenden Uniformen und schlechtem Kaffee. Hauptsache war, das EU-Logo sprang einem ins Auge.
Ein ständig plötzlicher Szenenwechsel sorgt im Stück oft für Verwirrung, eröffnet aber die Möglichkeit, so viele Themen wie möglich zu behandeln. Und diese reichen von Rassismus über das Wegwerfen von Lebensmitteln, bis hin zu einem unverschämten Journalismus, der von der Mehrheit nicht nur akzeptiert, sondern auch mit offenen Armen empfangen wird. Jeder Moment wird von der überragenden spielerischen Darbietung der Schauspieler mit Emotionen angefüllt. Zum Gänsehautmoment kommt es, wenn sich die Beispiel-Geschichten als Wahrheit entpuppen, als tatsächliche und schockierende Ereignisse im europäischen Raum. Um die Realität der Dinge zu untermauern, wird zu jedem Exempel ein „beweisführender“ Internetlink angegeben.
Da Musik ja bekanntlich verbindet und die Handlung nicht intensiver auf Zusammenhalt und Solidarität plädieren könnte, stellt auch die musikalische Begleitung einen signifikanten Teil des Stückes dar. Traian repräsentiert nicht nur seine und Nicoleta Esinecus Heimat, sondern erweist sich auch als Musiker. In moldawischen Worten adressiert er seine persönlichen Gedanken und Beobachtungen an das Publikum. „Das ist es nicht, was mich deprimiert, sondern die Doppelstandards der Spezies, der ich angehöre.“, heißt es in einem der Rap-Songs. Genauer könnte er den Kern des Stückes wohl kaum treffen.
Intensive, treffende eineinhalb Stunden, die zum Nachdenken auffordern. An einigen Stellen bleibt der Zuseher im Unklaren über die dargestellte Situation aber die zentrale Message ist klar: Europa befindet sich in einer Art Pause von seinen grundsätzlichen Prinzipien, versucht den Schein jedoch mit aller Müh zu wahren. Aber done sind wir hoffentlich doch noch nicht!