Sound of Bürokratie, jawohl!

Bergidylle, Einwanderungspolitik und herrlich schrecklicher Akzent: „The Hills are Alive“ feiert im Schauspielhaus Graz seine Uraufführung und scheut sich nicht heftig über und mit Österreich zu lachen.

Wer Österreich sagt, muss auch Bürokratie sagen. Diese schmerzliche Erfahrung sollen auch Max und Maria machen. Die Geschichte ihrer Vergangenheit kommt einem, wie der Titel des Stücks, verdächtig vertraut vor: Vor 50 Jahren flohen der Mann, seine vielen Kinder und sein singendes Hausmädchen in Windeseile in die Schweiz. Von dort aus ging es nach Amerika, wo sie mit der Verfilmung ihrer Lebensgeschichte weltweit berühmt wurden. Das heißt, ihre Bekanntheit reicht um die ganze Welt, mit Ausnahme von Österreich natürlich. Aber genau dorthin soll es jetzt zurück gehen, denn immerhin baut ein etwas verrückter amerikanischer Präsident gerade eine Mauer Richtung Mexiko. Und die geht genau durch den Garten von Max von Maria von Trüb.

Nikolaus Habjan steht mal wieder auf der großen Bühne: Während der Puppenspieler mit „F. Zawrel“ sieben Jahre nach der Uraufführung immer noch Publikumsräume bis auf den letzten Platz füllt, startet auch das neue Stück „The Hills are Alive“ mit einem restlos gefüllten Schauspielhaus und minutenlangen, stehenden Applaus. Gemeinsam mit seinem Mentor Neville Tranter (Regie, Text, Puppenbau) wird Österreich kräftig durch den Kakao gezogen.

Die beiden Puppenspieler bringen die Geschichte energiegeladen auf die Bühne. Dabei gehen ihre Bewegungen so sehr in die Puppen über, dass man nach kurzer Zeit schon vergisst, dass hier keine echten Menschen in die Rollen der Erzählung schlüpfen. Perfekt mimen die beiden die verschiedenen Stimmlagen der Figuren, vom rauchig kratzigen Klang bis zur kindlichen Pipsestimme, so dass keine Sekunde zu zweifeln bleibt, in welche Rolle gerade geschlüpft wird.

 

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(c) Lex Karelly

 

Beeindruckend sind auch die unglaublich schnellen Wechsel der zahlreichen Puppen von den nur zu zweit auf der Bühne stehenden Spielern. Zusätzlich überzeugt die Optik der von Tranter geschnitzten Werke. Besonderes Highlight ist hierbei der Bürokrat Norbert Frickl, bei dem nicht nur der Name irgendein Glöckchen im Hirn läuten lässt, sondern auch sein Aussehen an einen international bekannten gescheiterten österreichischen Künstler erinnern lässt. Sein Ziel: Die Von Trübs so schnell wie möglich ins Ausreisezentrum zu schicken.

Mit herrlich schrecklichem Austrian English und schrägen Gesängen, nimmt das Stück nicht nur „Sound of Music“ aufs Korn, sondern auch die ÖsterreicherInnen selbst. So gehen die zahlreichen Lacher oft auf Kosten der Kronen Zeitung, überzogene Heimatliebe, Kitsch und Alltagsrassismus.

Ein kompakt gefüllter Abend, der stets für viele Lacher sorgt und keine Minute Langeweile mit sich bringt. Großartige Leistung von Neville Tranter und Nikolaus Habjan, die jetzt schon auf weitere Zusammenarbeit hoffen lässt.

Infos und Termine: HIER

Übrigens: Gewusst? StudentInnen unter 26 können bei jeder Vorstellung im Schauspielhaus Graz Restkarten für alle Kategorien um 5 Euro kaufen! 

Foto: Johannes Gellner

Österreich braucht eine Prima Vulva!

Über Frauenpolitik und Frauen in der Politik denken Juliette Eröd, Johanna Hierzegger, Pia Hierzegger, Gabriela Hiti und Martina Zinner in ihrer Performance „Frauenturnen“ im Grazer Theater im Bahnhof nach.

„Wir können alles werden und müssen es auch“, sagen die fünf Frauen unisono. Sie stehen auf der Skulptur „Mein Jänner 2019 in Österreich“, sind ein Teil von ihr. Sie sind auch ein Teil von Österreich – doch wie schafft man es, sich nicht verdrängen zu lassen aus der Öffentlichkeit, eine Stimme zu finden, sich aber trotzdem nicht vollkommen selbst aufzugeben? Vor allem als Frau, so die Botschaft, ist es schwierig, auf dem schmalen Grat zwischen Ratlosigkeit, Partizipation und Aufopferung zu wandern.

Die performativen Wege, die „Frauenturnen“ zum Ausdruck wählt, sind grandios: Der vibrierende Bauchmuskeltrainer-Gürtel etwa, der um Gabriela Hitis Hüften geschnallt ist.  „Wie kann man nach all der Erfahrung nur so ratlos sein“, fragt sie sich. Wenn die fünf gemeinsam pyjamapartyartig unter der Bühne liegen und vom Zusammenbruch erzählen, während dem keine Hilfe in Sicht war, schmerzt das und rüttelt auf. Die Ängst, die Schlaflosigkeit, die Probleme – der Preis für Frauen?

Foto: Johannes Gellner

Foto: Johannes Gellner

 

Und wie lebt es sich nun als Politikerin? Man ist immer öffentlich. Pia Hierzegger monologisiert über Alltagssituationen, die in der Zeitung landen. Dennoch, Vorteile hat das auch: Als Bundespräsidentin wäre man die „erste Fut im Staat“, die „Prima Vulva“, rappt Martina Zinner, während alle wild auf den Ebenen der Skulptur turnen. Keine Wartezeit beim Gynäkologen!

„Wir dürfen politisches Theater machen“, heißt es einmal. Sie müssen sogar, und zwar für alle Generationen von Frauen (und Männern), die danach kommen. Ein Patentrezept für Teilhabe gibt es nicht. Aber jedes Theaterstück ist ein guter, ein wichtiger Schritt – und dieses im Theater im Bahnhof ganz besonders.

Weitere Infos und Termine – hier lang!

Gefangen in der Freakshow – Mario und der Zauberer

BILD: Markus Butter (Cipolla) © Werner Kmetitsch

Optisch abstoßend, musikalisch faszinierend und inhaltlich irritierend. „Mario und der Zauberer“ zeigt, wie Menschen durch Suggestion und Manipulation zu Mitläufern werden. Ein Opernerlebnis, das einem noch lange im Gedächtnis bleibt und dem ein oder anderen sogar Albträume beschert. 

Die Studiobühne wurde (von Christoph Gehre) in ein heruntergekommenes Zirkuszelt verwandelt. Müllhaldenflair liegt in der Luft, denn nicht nur Abfall  jeder Art (Bierdosen, Schuhe, tote Tiere) liegt im Raum verstreut sondern auch ein braun-besprenkeltes Dixi-Klo, alte Fernseher und Baustellenabsperrungszäune untermalen die düstere, dreckige Atmosphäre. In der Mitte der Bühne ist ein Haufen Müll und um ihn herum sind Sessel angereiht – freie Platzwahl. Hinter dem Drahtzaun klimpert das Orchester unter der Leitung von Marcus Merkel im Halbdunkeln.

Es ist 20:00 Uhr und das Stück sollte beginnen, jedoch scheint die Bühne noch in Arbeit zu sein: es wird gefegt (hoffnungslos bei diesem Dreck) und Lampen werden kontrolliert. Was ist hier los? Doch dann beginnt einer der vermeintlichen Bühnenarbeiter zu singen. Auch vereinzelte Besucher im Publikum scheinen Teil des Stückes zu sein, doch ist es unklar, wer es wirklich ist. Vollkommen verunsichert sitzt man im Publikum (oder doch inmitten von Statisten?)

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Die Novelle „Mario und der Zauberer“ von Thomas Mann wurde 1988 von Stephan Oliver in eine achtzigminütige Kammeroper verwandelt und in Graz nun von Christian Thausing inszeniert. (BILD: © Werner Kmetitsch)

 

Eine Frau mit Kopftuch (Andrea Purtić) und ihr Kleinkind betreten den Raum und suchen nach einem Platz. Ein Mann (Valentino Blasina) mittleren Alters hält sie auf. Er beklagt sich darüber, dass sie ihr Kind nackt herumlaufen ließ. Sie rechtfertigt sich und macht ihm klar, dass ihre Tochter nur ihren Badeanzug gewechselt hat. Dies ist für den Mann jedoch keine Entschuldigung und er fordert den Bürgermeister (der mit Frau und Gefolge das Zelt betritt) auf, die Frau zu bestrafen. Eine Geldstrafe ist für ihn angemessen und er setzt sich, während ein Parteimitglied Werbekärtchen mit der Aufschrift „Heimat verteidigen – Zu viel Fremdes tut niemandem gut“ im Publikum verteilt. Als Zuschauer wird man verunsichert und schüttelt dem Herrn verblüfft die Hand. Danach beginnt die Zaubershow: Der Zauberer betritt oder bekriecht die Bühne. Sein Anblick ist fast genauso ekelerregend wie sein Umfeld. Eine verblüffende, jedoch gleichzeitig abstoßende Show beginnt, in der Zaubertricks mit und am Publikum durchgeführt werden. Auch Mario (Romain Clavareau) ist nicht vor dem Zauberer sicher. Der Junge wird hypnotisiert und denkt, der alte Magier sei seine Angebetete. Plötzlich stürmt aus dem Publikum eine Gruppe Jugendlicher auf Mario zu und das Licht geht aus. Als es wieder angeht, liegt Mario blutüberströmt am Boden. Die Frau und ihre Tochter helfen ihm auf und begleiten ihn aus dem Zelt.

Das Stück endet ohne Ende. Man sitzt verunsichert da. Was ist Show, was ist real? Wie real ist das Gespielte? Verwirrt und unbefriedigend verlässt Mensch für Mensch den Raum/das Zelt. Kommt da noch etwas? Open-End … wie im richtigen Leben.

Ein tolles Stück, in dem man Oper auf eine ganz herrlich andere Art erfährt.

Karten: hier.