Vic Chesnutt ist tot

Die diesjährigen Weihnachten kommen natürlich nicht ohne Tragödien aus. Meine Mutter hat sich glücklicherweise nur den Knöchel gebrochen – Folkrock/Americana Musiker Vic Chesnutt (eigentlich James Victor Chesnutt, oftmals auch fälschlicherweise als Vic Chesnut, Chestnut oder Chestnutt bezeichnet) beging Selbstmord. Am 25.12. nahm er eine Überdosis Muskelrelaxane ein, die ihn in ein Koma verfallen liesen, in dem er später am selben Tag noch umgeben von Freunden und Familie starb.

vic chesnutt by jem cohen

vic chesnutt by jem cohen

Chesnutt, geboren in Zebula, Georgia, wurde Anfang der 90er  bei einem Auftritt in einer Bar in Athens, Georgia, von Michael Stipe (R.E.M.) entdeckt und zum Aufnehmen eines Albums ermutigt. So kam es, dass Stipe auch Chesnutt’s erste Alben „Little“ und „West of Rome“ produzierte. Später zog Chesnutt es vor, neben Soloalben auch mit anderen Bands aufzunehmen, so zum Beispiel mit Godspeed You! Black Emperor/A Silver Mt. Zion, Lambchop und Elf Power.

Vic Chesnutts seelischer Zustand war kein Geheimnis – bereits mit 18 fuhr er mit einem Auto gegen einen Baum, was zu seiner Querschnittlähmung führte, sein Drogen- und Alkoholkonsum auch nicht wirklich (Chesnutt sprach sich immer wieder für medizinisch vernwedetes Marihuana aus und das Album „Drunk“ hält sein Versprechen), obwohl er sich zu bessern schien. 2009 veröffentlichte er sogar ganze zwei Alben, deren Texte wie gewohnt sarkastisch über die Sinnlosigkeit des Lebens sinnierten – manche glaubten, Chesnutt würde die Musik neben klinischer Therapie als Ventil benutzen, um seiner Gefühle Herr zu werden.

Doch die Kosten einer Operation trieben den privat krankenversichten Vic Chesnutt in den Ruin: nachdem er bereits die Hälfte einer 70 000 Dollar Summe für eine Operation bezahlt hatte und danach für einige Zeit zahlungsunfähig wurde, verklagte das Spital ihn um die noch offenen 35 000 Dollar. Chesnutt war ratlos, seine kanadischen Bandkollegen über die Unmenschlichkeit des alten amerikanischen Gesundheitsystems erschrocken und schockiert.
Nun hat es ihn dahingerafft, einen Menschen, der schon viel durchgemacht und noch viel vor sich haben könnte. Doch anschienend zog der überzeugte Atheist den Tod dem Leben vor.

Musikerin Kristin Hersh, eine enge Freundin Chesnutts, schrieb einen Nachruf, den wir auschnittsweise auch hier zeigen möchten – niemand anders kann ihn wohl so charakterisieren.

What this man was capable of was superhuman. Vic was brilliant, hilarious and necessary; his songs messages from the ether, uncensored. He developed a guitar style that allowed him to play bass, rhythm and lead in the same song — this with the movement of only two fingers. His fluid timing was inimitable, his poetry untainted by influences. He was my best friend.

I never saw the wheelchair—it was invisible to me—but he did. When our dressing room was up a flight of stairs, he’d casually tell me that he’d meet me in the bar. When we both contracted the same illness, I told him it was the worst pain I’d ever felt. „I don’t feel pain,“ he said. Of course. I’d forgotten. When I asked him to take a walk down the rain spattered sidewalk with me, he said his hands would get wet. Sitting on stage with him, I would request a song and he’d flip me off, which meant, „This finger won’t work today.“ I saw him as unassailable—huge and wonderful, but I think Vic saw Vic as small, broken. And sad.

Auf der Seite mit dem Nachruf sammelt sie ebenso Spenden, die der Familie Chesnutts zu gute kommen.

Patti Smith, Punkveteranin, schrieb ebenso einen kurzen Nachruf…

“I flew around a little room once.” A line from Supernatural. He was just that. He possessed an unearthly energy and yet was humanistic with the common man in mind. He was entirely present and entirely somewhere else. A mystical somewhere else. A child and an old guy as he called himself. Before he made an album he said he was a bum. Now he is in flight bumming round beyond the little room. With his angel voice.

…wie es Jeff Mangum, Kopf des Projekts Neutral Milk Hotel, tat:

in 1991 i moved to athens georgia in search of god, but what I discovered instead was vic chesnutt. hearing his music completely transformed the way i thought about writing songs, and i will forever be in his debt.

Und Michael Stipe?

We have lost one of our great ones.

Die Welt des Alternative-/Indie-/Folkrocks und Americanas ist zutiefst erschüttert. So auch wir. Denn sie alle haben recht – mit Vic Chesnutt ist ein ganz Großer gestorben.
Hier eine Auswahl an Videos

Most of the time I’m basically depressed
But I guess it’s just my nature

– Vic Chesnutt, „Flying“

5 Kommentare zu “Vic Chesnutt ist tot

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